Halb Tränen, halb Lächeln, die Erinnerung an eine verlorene Kindheit und die vom Publikum anscheinend selbstauferlegte Mahnung, Heimat, Familie und Kultur daheim neu schätzen zu lernen: Das war die Botschaft einer eindrücklichen Lit.Eifel-Lesung am Donnerstagabend in der Schülerkapelle des Salvatorianerklosters Steinfeld.
Im Mittelpunkt stand die erst 26 Jahre junge Autorin Luna Al-Mousli ‚die vor zwölf Jahren mit ihrer Familie aus Damaskus floh und die seither in Österreich lebt, studiert, arbeitet und schreibt. In ihrem Buch „Eine Träne, ein Lächeln“ (weissbooks.w ISBN 978–3‑86337–107‑4) hat sie ihre Kindheitserinnerungen niedergelegt – und Weiterungen zur sogenannten Flüchtlingsproblematik, das heißt zum Leben und zum Menschsein selbst.
„Es geht nicht in Urlaub – es ist für immer“
Drei Zitate aus dem liebevoll aufgemachten und in Deutsch und Arabisch abgefassten Bändchen: „Meine Augen sind feucht, ich will zurück nach Damaskus. Es geht nicht in den Urlaub – es ist für immer …“ „Das ist mehr als ein Buch, es geht um die 784.000 Einwohner – und mich“. „Wir werden uns integrieren, weil wir uns integrieren müssen, dürfen, weil wir uns integrieren wollen.“
Eingeladen hatte das junge Literaturfestival „Lit.Eifel“, das seit drei Jahren im rheinischen Teil der Eifel die kulturelle Szene mit hochwertigen Lesungen an außergewöhnlichen Orten bereichert und die Literatur in breite auch jugendliche Leserschichten bringen will. Dabei machen die Städteregion Aachen, die Kreise Euskirchen und Düren sowie die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens sowie die Kommunen des Eifeler Landstrichs mit, der wie kaum ein anderer in den vergangenen 30 Jahren zum Schauplatz deutschsprachiger Literatur geworden ist.
„Insofern sind wir kein deutsches, sondern ein deutschsprachiges, aber internationales Kulturfestival“, sagte der Moderator Manfred Lang, der gemeinsam mit Helmut Lanio den Programmbeirat der Lit.Eifel in Steinfeld vertrat. Der universale Anspruch von Literatur wurde an dem Abend noch dick unterstrichen durch die aus Syrien stammende Wiener Autorin Luna Al-Mousli und durch ein internationales Austauschprojekt zwischen geflohenen Menschen, die in der Gemeinde Kall Schutz und Betreuung gefunden haben und Oberstufenschülern des Steinfelder Hermann-Josef-Kollegs (HJK).
Genau zugucken und hinhören
Inspiriert von Luna Al-Mouslis Buch sowie angeleitet und begleitet von dem HJK-Lehrer Michael Schmitz, der kommunalen Kaller Integrationsbeauftragten Alice Gempfer und ihren Mitstreiterinnen Loni Behrend und Tina Seynsche sowie unterstützt von Norbert Weber und dem Jugendmigrationsdienst Euskirchen hatten die HJK-Gymnasiasten Leonie Trösch, Saskia Hupp, Katharina Blens, Michael Thelen und David Andermahr sowie die Asylsuchenden Leyla Ali, Ahmad Almohamad, Rahnia Osman und Negirvan Bando zunächst ihre eigene Lebenswirklichkeit im Alltag unter die Lupe genommen und zum Teil auch fotografiert.
Dann stellten die Projektteilnehmer ihre Realität den anderen vor. Die wiederum lernten genau hinzugucken und hinzuhören und Verständnis für die Lage und Befindlichkeit des jeweils anderen zu entwickeln. Es entstand nach und nach das, was Luna Al-Mousli bei ihrem Leseabend vor großer Zuhörerkulisse im Kloster Steinfeld immer wieder erbat und einforderte: Verstehen und Toleranz, auch und gerade in kulturellen und religiösen Dingen.
Sie beispielsweise trage kein Kopftuch, aber es könne passieren, dass es ihr in den Sinn komme, ihre „langen Haare abzuschneiden, grün oder blau zu färben, Glatze zu tragen und sich irgendwann doch ein Kopftuch anzuziehen: Das ist alles in Ordnung so.“ Weder Bibel noch Koran wollten sklavisch Wort für Wort verstanden werden, sondern in ihrer spirituellen Botschaft. „Allah und Gott“, habe sie unlängst einem ihrer Schüler auf hartnäckiges mehrmaliges Zweifeln versichert, „ist in Wirklichkeit und wirklich ein- und derselbe“. Eine Sichtweise, die die meisten ihrer Zuhörer teilten und mit kräftigem Zwischenapplaus quittierten. Die aber auch auf den arabisch vorgetragenen Widerspruch eines wohlgemerkt einzelnen Zuhörers stieß. Womit Luna Al-Mousli in zwölf Jahren Wien umzugehen gelernt hat. Wie mit den ewig gleichen Fragen, auf die auch sie keine Antwort wisse: „Luna, was wird aus Syrien werden? Ich habe keine Ahnung …“
Schwere Kiste voller Erinnerungen und Gefühle
„Integration bedeutet nicht, dass ich meine alte Existenz vollständig ablege und eine neue annehme“, konstatierte die energische Autorin: Natürlich trage der Emigrant eine schwere Kiste mit Erinnerungen und Sprache und wesentlichen Elementen seiner Kultur, Religion und vor allem seiner geliebten, aber zurückgelassenen Familienmitglieder und Freunde mit sich herum: „Und das ist auch gut so, man greift immer wieder in diese Kiste und holt das hervor, was Bedeutung behält.“ Periodisch wie ein Planet auf seiner Umlaufbahn schmerze das Heimweh: „Selbst das ist gut so, weil man merkt, dass ein Stück von mir noch da ist, wo ich fortgegangen bin.“ Ein Gedankenansatz, dem auch die Projektgruppe nachgegangen war. Die Schüler erzählten dem Lit.Eifel-Publikum frei von der Leber, wie sie ihre Eifeler Umgebung, ihren rheinischen Slang, ihre Freunde und die Familie vermissen würden, falls sie das Land einmal verlassen müssten, wie zwei Genrationen vor ihnen Millionen andere Deutsche. Michael Thelen: „Wir machen bald Abitur und gehen dann in andere Städte studieren, aber das ist etwas völlig anderes, weil wir kommen ja immer wieder und jederzeit zurück, wenn wir wollen.“ Er wie auch seine Mitschüler und die Projektmitarbeiter aus Flüchtlingsunterkünften in Sistig, Kall und Scheven hatten ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Überlegungen am Rande der Lit.-Eifel-Lesung auf Schautafeln ausgestellt. Ahmad Almohamad, der in Damaskus Pädagogik studierte und sich inzwischen von Kall aus als Freiwilliger selbst in der Integrationsarbeit des Kreises Euskirchen engagiert, berichtete den Zuhörern von seinen traumatischen Erfahrungen. Auf seiner Ausstellungstafel waren nicht nur Bilder seines neuen Zuhauses in Sistig zu sehen, sondern auch Fotos, die er wie andere Projektteilnehmer mit der Sofortbildkamera bei einem Ausflug nach Köln gemacht hatte. Unter anderem sind imposante Aufnahmen des Kölner Doms zu sehen – und die für den rheinischen Betrachter völlig harmlose Silhouette eines „Mölleme Böötchens“.
Der Rheindampfer löste allerdings bei Ahamad Almohamad völlig andere Assoziationen aus: „Er erinnert mich an die Flucht, an die Bootsfahrt über das Mittelmeer von der Türkei nach Griechenland, das Schiff erinnert mich an den Tod durch Ertrinken und daran, dass ich seitdem Angst vor dem Wasser habe.“
„Keine Schlepper, kein Boot, kein Gefängnis“
Luna Al-Mousli machte in Steinfeld einen ganz ausgezeichneten Eindruck – als Mensch und als Autorin. Mit ihrem perfekten Deutsch, ihrer zupackenden Lebensauffassung und ihrem charmanten wienerischen Dialekt gewann sie die Herzen nicht nur des deutschen Publikums, sondern auch ihrer geflohenen Landsleute, wie es schien.
Die Autorin ist in ihrem Buch „Eine Träne, ein Lächeln“ nicht bei den eigenen Emigrationserfahrungen von vor zwölf Jahren stehen geblieben. Die 1990 geborene und in Damaskus aufgewachsene Autorin gab in Steinfeld und gibt auch in ihrem Buch zu verstehen, dass sich die Umstände der Flucht seither für Ahmad Almohamad, Negrivan Bando, Leyla Ali, Rahnia Osman und Millionen andere dramatisch verschärft haben: „Obwohl Österreich und Deutschland weit weg sind, haben es einige hierhin geschafft. Wie ich. Nur ich hatte keine Schlepper nötig, keine Bootsfahrt und keinen Gefängnisaufenthalt …“
pp/ProfiPress Agentur