2. Halbjahr2014/2015Schuljahre

Kann deut­sche Lite­ra­tur in Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung die Men­schen zur Ände­rung ihrer Ver­hal­tens­wei­sen bewe­gen? Die­se Fra­ge stand beim 14. Stein­fel­der Abend im Her­mann Josef Kol­leg (HJK) im Mit­tel­punkt. Als Refe­ren­tin des Abends hat­te der Orga­ni­sa­tor und HJK-Leh­rer a.D. Wer­ner Löh­nertz die ehe­ma­li­ge Schü­le­rin und jetzt in Ber­lin wir­ken­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Dr. Mari­ta Mey­er gewin­nen kön­nen. Dass dies­mal bei der belieb­ten Ver­an­stal­tungs­rei­he auch Stüh­le leer blie­ben, führ­te er auf die aktu­el­le Grip­pe­wel­le zurück.
Dr. Mari­ta Mey­er mach­te 1982 am Her­mann-Josef-Kol­leg ihr Abitur und stu­dier­te danach Ger­ma­nis­tik, Phi­lo­so­phie und Kunst­ge­schich­te. In Hei­del­berg pro­mo­vier­te sie über den Schrift­stel­ler Peter Weiss und die Dar­stell­bar­keit des Holo­caust. Sie arbei­te­te als Lek­to­rin an der Yale Uni­ver­si­ty in den USA und als DAAD-Lek­to­rin an der Uni­wer­sy­tet Szc­ze­cin­ski in Polen. Zur­zeit ist sie wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Frei­en Uni­ver­si­tät (FU) in Ber­lin. Wer­ner Löh­nertz konn­te sich noch gut an Mari­ta Mey­er erin­nern: “Es gibt Schü­ler, die einem prä­sent geblie­ben sind. Mari­ta hat mir immer wider­spro­chen.” Dr. Mari­ta Mey­er the­ma­ti­sier­te in Stein­feld aktu­el­le deutsch­spra­chi­ge Lite­ra­tur zu den The­men Glo­ba­li­sie­rung, Natur und Zukunft. Die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, so Dr. Mari­ta Mey­er, habe sich nur zöger­lich an das The­ma her­an­ge­wagt, obwohl sich bereits seit den 1980er Jah­ren Schrift­stel­ler mit den The­men­fel­dern rund um die Glo­ba­li­sie­rung beschäf­tig­ten. Mit dem Buch “Glo­ba­li­sie­rung — Natur — Zukunft erzäh­len”, das die in Kall-Rüth auf­ge­wach­se­ne Ex-Schü­le­rin selbst mit her­aus­ge­ge­ben hat, prä­sen­tier­te sie aktu­el­le Ergeb­nis­se zum The­ma.
Als Lei­te­rin des Mas­ter­stu­di­en­gangs „Deutsch als Fremd­spra­che: Kul­tur­ver­mitt­lung“ am Insti­tut für Deut­sche und Nie­der­län­di­sche Phi­lo­lo­gie der FU Ber­lin hat Dr. Mey­er mit den Kol­le­gen Almut Hil­le und Sabi­ne Jam­bon Tex­te, Lie­der und Fil­me von 18 Autoren ana­ly­siert, die sich unter ande­rem mit dem Kli­ma­wan­del, der Ver­schmut­zung der Mee­re oder den welt­wei­ten Waren­trans­por­ten aus­ein­an­der gesetzt haben. “Das Buch ist erst ges­tern aus der Dru­cke­rei gekom­men”, berich­te­te Dr. Mey­er.
Zunächst stell­te Dr. Mey­er ihren eige­nen For­schungs­bei­trag über den Gegen­warts­dra­ma­ti­ker Roland Schim­mel­p­fen­nig und sein Werk “Der gol­de­ne Dra­chen” vor. Im Mit­tel­punkt der Geschich­te steht das Chi­na-Viet­man-Thai-Schnell­re­stau­rant “Der gol­de­ne Dra­che”, in dem ein jun­ger Chi­ne­se ohne Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung in der klei­nen Küche ille­gal zwi­schen zischen­den Gas­ko­chern arbei­tet. Ihm wird in der Küche ein furcht­bar schmer­zen­der Zahn mit der Rohr­zan­ge gezo­gen. Die OP endet töd­lich für den jun­gen Chi­ne­sen, der eigent­lich auf der Suche nach sei­ner Schwes­ter gewe­sen war. Schim­mel­p­fen­nig erzählt in dem epi­schen Stück von der Rechts­lo­sig­keit ille­ga­ler Ein­wan­de­rer, die nicht zum Arzt gehen kön­nen, wenn sie krank sind, oder nicht zur Poli­zei, wenn sie zur Pro­sti­tu­ti­on gezwun­gen wer­den. Rund 100.000 ille­ga­le Ein­wan­de­rer, so Dr. Mari­ta Mey­er, sei­en in Deutsch­land von die­ser Pro­ble­ma­tik betrof­fen und wür­den miss­braucht, aus­ge­beu­tet oder wie Skla­ven gehal­ten.
Dass alte Geschich­ten in ihrer Aktua­li­tät wie­der leben­dig wer­den, erläu­ter­te Mari­ta Mey­er an der Art und Wei­se wie Schim­mel­p­fen­nig die Fabel “Die Amei­se und die Gril­le”, in sei­nem Thea­ter­stück vari­iert. Die bekann­te Moral “Spa­re in der Zeit, so hast du in der Not” ver­schärft Schim­mel­p­fen­nig dabei zur pro­vo­kan­ten Aus­sa­ge “Wer nicht arbei­tet, braucht auch nicht zu leben”.
Abschlie­ßend stell­te sie wei­te­re aktu­el­le Autoren vor, die man ihrer Mei­nung nach sowohl Schü­lern als auch Leh­ren­den näher brin­gen sol­le. Die Lite­ra­tur zei­ge auf, so Dr. Mey­er, dass die Glo­ba­li­sie­rung den einen Vor­tei­le, den ande­ren aber Gefah­ren, Dis­kri­mi­nie­rung und Skla­ve­rei besche­re. Der Thea­ter­zu­schau­er oder der Leser sol­len zum Nach­den­ken bewegt und moti­viert wer­den, die Welt zu ver­än­dern.
In der fol­gen­den Dis­kus­si­on sprach HJK-Schul­lei­ter Hein­rich Latz ange­sichts der deut­schen Lite­ra­tur und des deut­schen Thea­ters von sehr schwe­rer Kost. Die eng­li­sche und ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur sei zugäng­li­cher und nicht so “ver­kopft” wie die deut­sche. Auch Wer­ner Löh­nertz zeig­te sich skep­tisch, ob die Lite­ra­tur wirk­lich zur Ände­rung der Ver­hal­tens­wei­sen füh­ren kann, wie es die Schrift­stel­ler erwar­ten. Dr. Mari­ta Mey­er wider­sprach: Die Lite­ra­tur kön­ne dazu die­nen, die Leu­te zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu ani­mie­ren, neue Hand­lungs­spiel­räu­me zu ent­de­cken. Um Wor­ten Taten fol­gen zu las­sen, brau­che man jedoch Ver­stand, Ent­schluss­kraft und Mit­ge­fühl mit ande­ren Men­schen. “Uns wird der Anstieg des Mee­res­spie­gel nicht tref­fen”, so die ehe­ma­li­ge Schü­le­rin abschlie­ßend.
Bil­der und Bericht: Rei­ner Züll/pp/Agentur Pro­fi­Press